Veröffentlicht am 23.09.15

Hans Brügelmann: Vermessene Schulen – standardisierte Schüler. Zu Risiken und Nebenwirkungen von PISA, Hattie, VerA und Co.

Eine Rezension von Karl-Heinz Dammer

In der inzwischen kaum noch überschaubaren Literatur (auch kritischer) zum Evaluationsbusiness à la PISA hat Hans Brügelmann eine (eigentlich erstaunliche) Lücke entdeckt und gefüllt mit einer vom Umfang her (143 Seiten) gut handhabbaren, allgemeinverständlichen und zugleich differenzierten Darstellung der herrschenden empirischen Bildungsforschung und ihrer Problematik. Die Lektüre ermöglicht es Lehrkräften und selbst interessierten Laien, die Geltungsansprüche evidenzbasierter Forschung zu prüfen, kann aber zugleich auch Fachleuten als gute Zusammenfassung der Thematik dienen.

Brügelmann geht es nicht um eine Verurteilung empirischer Bildungsforschung, sondern um eine ausgewogene Darstellung ihrer Leistungsmöglichkeiten und deren Grenzen, die sich aus der methodischen Anlage zwangsläufig ergeben. Forschung dieser Art muss, so Brügelmanns zentrales Plädoyer, durch vielfältige andere Formen der Evaluation von Schulen und Unterricht ergänzt werden. Im Wesentlichen geht es ihm darum, sachadäquate Forschung mit qualitativen Verbesserungen der Praxis zu verbinden. Dabei beschränkt er sich nicht auf die Diskussion forschungsmethodischer Probleme, sondern bringt ebenso die genuin pädagogischen Aufgaben der Schule zur Geltung und berücksichtigt darüber hinaus den gesellschaftlichen und politischen Kontext, in dem Forschung, ihre Rezeption und ihre Umsetzung stattfinden.

Auf relativ knappem Raum einen so umfassenden Einblick in die methodischen Probleme der Forschung und ihre vielfältigen (Neben.)Wirkungen zu vermitteln, setzt reichhaltige Erfahrung voraus: Hans Brügelmann hat selbst rund 40 Jahre lang als Bildungsforscher gearbeitet und legt mit dem Buch so etwas wie ein bilanzierendes Vermächtnis vor, in das mehrere seiner Einzelpublikationen eingeflossen und für diesen Zweck überarbeitet worden sind. So kommt es zu manchen Wiederholungen, die aber die wesentlichen Botschaften einprägsamer machen und es außerdem erlauben, dass man sich, je nach Interesse, auf die Lektüre einzelner Kapitel beschränken kann und dennoch stets die wesentlichen Botschaften mitbekommt. Erleichtert wird das Lesen weiterhin durch die Querverweise und das knappe Glossar am Schluss, das die wichtigsten methodischen Fachbegriffe erklärt. Wer sich über das Buch hinaus weiter mit der Problematik beschäftigen will, bekommt schließlich knapp kommentierte Literaturtipps zu den einzelnen Kapiteln (S. 131 f.).

Auch wenn das Buch einen systematischen Zusammenhang hat, lassen sich die Kapitel einzeln lesen, wobei zumindest die ersten beiden Kapitel jedem zur Lektüre zu empfehlen sind, da hier ausführlich das Pro und Contra von Evaluation aus verschiedenen Perspektiven diskutiert wird (1. Kapitel) und man eine grundlegende Einführung in die Vorgehensweise evidenzbasierter Forschung bekommt (2. Kapitel). In den drei darauffolgenden Kapiteln stellt Brügelmann die beiden in den letzten Jahren meistdiskutierten Beispiele empirischer Bildungsforschung vor, nämlich die PISA-Studie und die Hattie-Studie. Beide Studien untersuchen im doppelten Sinne des Wortes global die Leistungsfähigkeit von Bildungssystemen bzw. die Effizienz von Unterrichtsmethoden. Im 6. Kapitel wird daher ergänzend die empirisch-vergleichende Evaluation von Einzelschulen durch standardisierte Tests (VerA) unter die Lupe genommen. Eine Reflexion über Notengebung und alternative Formen der Leistungsbewertung samt Darstellung wesentlicher Forschungsergebnisse zu dem Thema runden das Buch ab.

Im „Vorspiel“ (S. 11ff.) steckt Brügelmann thesenhaft den Rahmen des Buches ab: Lernen kann nicht mit den gleichen Instrumenten überprüft werden wie ökonomischer oder technischer Output, weswegen nur eine Kombination von quantitativen und qualitativen Verfahren der Evaluation zum Erfolg führt, unter der Voraussetzung, dass dabei die Praktiker „mitgenommen“ werden, damit deren Entmündigung durch wissenschaftliche „Experten“ verhindert werden kann.

Die vollständige Rezension als PDF: Dammer_Rezension Brügelmann

Das Buch ist 2015 im Beltz-Verlag erschienen