Veröffentlicht am 06.05.14

Die Macht der Messung

Wie die OECD mit PISA ein neues Bldungskonzept durchsetzt

Die PISA-Studien und ihre Ergebnisse entscheiden darüber, wie künftige Generationen gebildet werden. Ein Maß soll die Fähigkeiten und Fertigkeiten, neudeutsch: Kompetenzen, von Schülern in über 30 Ländern vergleichen und bewerten. Dabei bekannte bereits PISA 2000 offen, dass sich dieses Maß nicht an den Bildungstraditionen, Verfassungen und Richtlinien der vermessenen Länder orientiere. Vielmehr liege den Testungen ein eigenes Konzept mit normativer Wirkung zugrunde: Lehrer, Schulen und ganze Bildungssysteme sehen sich weltweit in ein einziges Schema gezwungen, nach dessen Kriterien sie allein Exzellenz erlangen sollen. So ist angesichts der von hoher medialer Aufmerksamkeit begleiteten Veröffentlichungen von PISA zu fragen: Was sind eigentlich dieKriterien dieser Messungen? Und wer hat Macht, über deren „Richtigkeit“ zu bestimmen?

Diese Fragen führen unmmittelbar zu der für den PISA-Test verantwortlichen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts nach eigenen Angaben „eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von Indikatoren zu Bildungsleistungen“ spielt und damit „die staatliche Bildungspolitik nicht nur bewerten, sondern auch zu ihrer Gestaltung beitragen“ will. In Peer-Reviews wie PISA sieht die OECD den „effizienteste(n) Weg, Einfluss auf das Verhalten souveräner Staaten auszuüben“ ,obwohl ihr dieser Einfluss nicht zusteht. Den Plan hierzu fasste sie im Jahre 1961 bei einer in Washington einberufenen Konferenz „Wirtschaftswachstum und Bildungsaufwand“. Deren Ergebnisse wurden sodann, wie die Kulturkommission des Europarates ohne jede Kritik feststellt, zum unmittelbaren „Gegenstand der Beratung der nationalen Ministerien und Parlamente. Sie wurden außerdem stark bestimmend für die gesamte öffentliche Erörterung pädagogischer und bildungspolitischer Probleme.“„Es ist selten, dass eine Konferenz so sichtbar die Politik vieler Länder verändert.“ Ausdrücklich ging es bei der Konferenz nicht um Maßstäbe, die den Bildungstraditionen der jeweiligen Länder gerecht würden. Das neue Maß war umgekehrt darauf angelegt, alle tradierten Vorstellungen außer Kraft zu setzen. So heißt es im Bericht zu der genannten Konferenz, es ginge im Hinblick auf die Entwicklungsländer um nichts weniger, „als dass Millionen Menschen von einer Lebensweise losgerissen werden sollen, die seit Jahrhunderten und Jahrtausenden das Lebensmilieu ausmachte“. Alles, was bisher an Schule und in der Erziehung in diesen Ländern geleistet wurde, habe soziale und religiöse Ziele verfolgt, die vorwiegend „Resignation und spirituelle Tröstung gewährten; Dinge, die jedem wirtschaftlichen Fortschrittsdenken glatt zuwiderlaufen“. Diese jahrhundertealten Einstellungen zu verändern sei vielleicht die schwerste, aber auch die vordringlichste Aufgabe der Erziehung in den Entwicklungsländern. Wohlgemerkt zählt die OECD dabei auch die Nationen Europas zu ebendiesen Entwicklungsländern. So bezeichnet sie gerade Deutschland, „mit seiner dezentralisierten Schulverwaltung […], was die Erziehungsplanung angeht, auch als ein etwas unterentwickeltes Land“. Folglich geht es darum, auch Deutschland bei der Bildung einer kulturellen Entwurzelung zu unterziehen.

Der ganze Beitrag als PDF mit Fussnoten: S. Graupe; J. Krautz: Die Macht_der_Messung
Erschienen in: COINCIDENTIA – Zeitschrift für europäische Geistesgeschichte. Beiheft 4: Der andere Blick: Fragendes Denken zum theoretischen Rahmen der empirischen Bildungsforschung. Hrsg. v. Harald Schwaetzer/Johanna Hueck/Matthias Vollet. Kueser Akademie, Bernkastel Kues 2014.