Veröffentlicht am 13.10.14

Bildung unter dem Diktat der Ökonomie

Anmerkungen zu einer folgenreichen Transformation von Schule und Universität

Gastbeitrag von Prof. Dr. Gerd F. Hepp, erschienen in: „Jahrbuch für Politisches Denken 2013“, herausgegeben von der „Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des politischen Denkens“.

Seit nunmehr fünf Jahren hält die seit 2008 grassierende internationale Finanz- und Wirtschaftskrise die Welt in Atem. Was mit der Immobilienkrise in den USA begonnen hatte, führte in der globalisierten Welt über unseriöse Kreditvergaben, risikoreiche Bankgeschäfte und hemmungslose Finanzspekulation zu einem weltweiten Desaster. Nachrichten über Bankenpleiten, Staatsbankrotte und staatliche Rettungsaktionen auf Kosten der Steuerzahler beherrschen seitdem die medialen Schlagzeilen.

Bei der Ursachenforschung werden fast ausschließlich ökonomische oder rein marktbezogene Fehlentwicklungen benannt. Da für diese letztlich aber Menschen verantwortlich sind, kann man diese aber auch aus einem anthropologischen Blickwinkel betrachten. Genau dies tat der  der neue Papst Franziskus in einer Ansprache vor Botschaftern am 16. Mai 2013.1 Schonungslos ging er hier mit den internationalen Finanzmärkten ins Gericht. Deren uneingeschränkte Autonomie habe zu einer „neuen unsichtbaren Tyrannei“ durch eine Minderheit geführt, die ohne staatliche Kontrollen erbarmungslos ihre eigenen Regeln auf Kosten des Gemeinwohls durchsetze. Als den wahren Ursprung dieser Entwicklung konstatierte er jedoch „eine tiefe anthropologische Krise – die Negation des Primats des Menschen!“ Sie offenbare sich „im Fetischismus des Geldes und in der Diktatur der gesichtslosen Wirtschaft ohne wirklich menschliche Ziele und Zwecke.“ Hinter dieser Haltung verberge sich die Zurückweisung der Ethik, sie bewirke „die Deformierung des Menschen und dessen Reduktion auf die bloße Funktion eines warenverbrauchenden Konsumenten.“

Vom Ordoliberalismus zum neuen Neoliberalismus

Die Diktatur des ökonomischen Paradigmas, die, wie es hier unmissverständlich heißt,  zu einer Deformierung des Menschen geführt hat, ist die Folge globaler Transformationsprozesse. Sie wurden bestimmt vom Siegeszug des neoliberalen Wirtschaftscredos, das sich mit dem Ende des Ost-West Systemgegensatzes seit den 1990er Jahren weltweit durchzusetzen konnte. Dieser hatte bis dahin in den westlichen Gesellschaften noch für eine gewisse innere normative Kohäsion gesorgt. So galt es, Freiheit und Menschenwürde gegen die Vereinnahmungen des Individuums durch kollektivistische Ideologien zu verteidigen. Ohne diesen Abgrenzungsdruck durch den äußeren Feind haben seitdem aber auch die inneren Bindekräfte an Geltungskraft verloren. Dies spiegelt sich auch in der Entwicklung der ökonomischen Theorie wider. In der Frühzeit der Bundesrepublik wurde diese noch von dem aus dem Ordoliberalismus sich entwickelnden älteren Neoliberalismus geprägt. Für die Freiburger Schule um Walter Eucken hatte der Markt noch eine dienende Funktion, er war Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck. Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik wurden noch als Einheit gesehen, Freiheit und Gemeinwohl galt es miteinander auszutarieren. Diese Rangordnung  bildete auch die Basis für die Idee der sozialen Marktwirtschaft und die Legitimation staatlicher Verteilungspolitik. „Die alten Neoliberalen hatten noch eine feste Wertehierarchie, in der die ideellen Werte vor den materiellen rangierten, der Markt auf der Ebene der Mittel platziert war und der Staat noch eine regulative Ordnungsfunktion hatte. Die Nachfolger, die sich den Begriff unter den Nagel gerissen haben, haben Zweck und Mittel vertauscht und aus dem Markt eine geradezu metaphysische Instanz gemacht.“1 Auch der Wirtschaftsethiker Peter Ulrich kritisiert die Übersteigerung des marktwirtschaftlichen Gedankens zur totalen Marktgesellschaft, die das menschliche Leben und die Politik einer „Sachlogik des Marktes“ opfere.2 Er fordert deshalb in seinem Entwurf einer zivilisierten Marktwirtschaft, diese in ein übergeordnete Konzept der Lebensdienlichkeit (Sinnfrage) und eines sozial gerechten Zusammenlebens (Legitimationsfrage) in einer demokratischen Bürgergesellschaft einzubetten.

Der „neue Neoliberalismus“ wird dagegen von einem tiefsitzenden Ressentiment gegen alles Institutionelle und vor allem den Staat gespeist.1 Seine Botschaft beansprucht alternativlos zu sein: Wirtschaftliches Wachstum, Wohlstand und soziale Kohäsion sind in den modernen Gesellschaften nur durch die Steuerungskräfte des freien Marktes und die Gesetze der Marktlogik zu gewährleisten. Sie allein, so wird behauptet, garantieren Dynamik, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Entsprechend gelte es, die in der freien Wirtschaft gültigen Kriterien der Deregulierung, Rationalität und Effizienz sowie das Kosten-Nutzen Kalkül möglichst unverkürzt auf alle Bereiche von Staat und Gesellschaft zu übertragen.

Der ganze Beitrag als PDF: Hepp: Bildung unter dem Diktat der Ökonomie